Warum Konzerne wie Startups funktionieren wollen. Und wieso das selten gelingt ...
Einer der großen Trends in den letzten 24 Monaten in der deutschen Wirtschaft ist zweifelsohne die Annäherung von Konzernen und junger Digitalwirtschaft. Immer mehr Unternehmen der Old Economy erkennen, dass Startups mit ihren Denk- und Arbeitsweisen, ihren unkonventionellen und überraschenden Methoden der Produktentwicklung und ihrer Agilität mittlerweile zu einem ernst zu nehmenden Wirtschaftsfaktor geworden sind, vor allem aber diejenigen sind, die für Innovationen sorgen.
Sind es früher die F&E-Abteilungen von Großunternehmen oder universitäre Forschungseinrichtungen gewesen, die Produkt-, Technologie- und Prozess-Innovationen getrieben haben, kommen genau solche Neuerungen heute vielmals eben nicht aus dem Hochsicherheitsforschungstrakt großer Konzerne sondern dem Coworking-Space in Berlin-Kreuzberg oder der Garage im Silicon Valley.
In der Konsequenz versuchen immer mehr Großunternehmen diese Startup-Mentalität in ihre Häuser hineinzuholen, indem sie „Labs“ einrichten, in denen ausgewählte Mitarbeiter sich nun über Innovationen Gedanken und Startup-Mentalität ins Unternehmen bringen. Bierbänke, ein Tischkicker und Club Mate-Kühlschränke mögen zwar vordergründig jung, innovativ und hip aussehen und sind sicherlich kreativitätsfördernd.
In einer Vielzahl der Fälle sind es aber nicht die Büroeinrichtung oder die IT-Ausstattung sondern falsche Denkweisen und Mentalitäten, die Konzerne daran hindern, Innovationen mit dem Innovationsgeist und der Geschwindigkeit von Startups anzugehen. Hier sind einige von ihnen:
# Zu starke Prozess- und Strukturdenke
Konzerne denken und funktionieren in Prozessen, Strukturen, Richtlinien. Sie sind darauf optimiert, dass ein Zahnrad in das andere greift, um das große Konstrukt nicht aus dem Takt zu bringen. Schnelle Innovation, Disruption und Erneuerung sind aber genau darauf ausgerichtet, Bestehendes in Frage zu stellen, etablierte Prozesse und Technologien zu verändern. Wer Innovation will, muss geradezu fordern, Unruhe zu erzeugen und die einzelnen Bausteine in Bewegung zu bringen, damit diese sich neu sortieren – auch gegen den Widerstand von Besitzstandswahrern.
# Kein Mut zum Risiko und Fehler
„Move fast and break things“ war lange Zeit das Mantra, das Facebook seinen Entwicklern gegeben hat. Es bedeutet nichts anderes als „Geschwindigkeit vor Perfektion“. Genau dieses Denken haben große Unternehmen aber nicht.
Sie sind darauf optimiert, Fehler zu vermeiden und Risiken zu minimieren. Typischerweise machen in Unternehmen diejenigen Karriere, die ihre Arbeit möglichst effizient und fehlerfrei machen – eine Denkweise, mit der aber Disruption, das Aufbrechen und Infrage stellen von bestehenden Produkten und Prozessen aber nicht möglich ist. Innovation ist eben nicht kalkulierbar. Wer bestehende Dinge in Frage stellt, geht immer das Risiko ein, mit neuen Ansätzen zu scheitern.
Nicht das Vermeiden von Fehlern oder Scheitern ist die Kunst sondern die richtige Ableitung von Learnings aus solchen Erfahrungen. Solange die Angst vor Konsequenzen aus Fehlern für die persönliche Karriere größer ist als die Anreize und Incentivierungen für die Entwicklung von Neuerungen (und auch die möglichen Fehler, die hierbei entstehen können), wird Innovation hier weiterhin gehemmt werden.
# Cover my ass-Mentalität
Große Strukturen führen zu häufig dazu, dass Menschen sich hinter Vorgesetzten verstecken, insbesondere dann, wenn es um Konsequenzen aus Fehlern geht, für die niemand die Verantwortung tragen möchte.Sie ziehen unzähligen Abstimmungsrunden an, die oftmals nur ein Ziel haben: sich bei Vorgesetzten und anderen Kollegen abzusichern, um für den Fall des Misserfolgs zur Absicherung noch einmal auf jemand anderes zeigen zu können. Genau hier geht die Geschwindigkeit verloren, die Startups und ihre „Make faster and better mistakes tomorrow“-Mentalität ausmacht.
# Die falschen Leute
Viele Unternehmen bauen in diesen Tagen interne Innovationsbereiche auf, aus denen heraus in Startup-Manier Innovation entwickelt werden soll.
Neben dem oben beschriebenen Mut und den entsprechenden Ressourcen ist insbesondere die richtige Ausstattung mit Personal hier von zentraler Bedeutung. Solche Projekte, die oft hohe Management-Attention genießen und per se „sexy und fancy“ sind, erzeugen immer Begehrlichkeiten innerhalb des Unternehmens. In vielen Fällen werden verdiente Nachwuchskräfte aus dem Unternehmen mit solchen Projekten „belohnt", um sich hier zusätzliche Sporen zu verdienen. Ein Fehler.
Die gewünschte Mentalität und Veränderung kann an dieser Stelle nur von außen kommen. Konzerne und große Unternehmen sind vielmehr gefragt, Modelle und Strukturen zu finden, die es für Menschen mit den benötigten Kompetenzen attraktiv machen, mit Großunternehmen zusammenzuarbeiten.
Wer aus den bestehenden Strukturen kommt, wird diese niemals mit der notwendigen Radikalität hinterfragen und verändern.
# Perfektionismus
Viele der heute großen Unternehmen sind mit Produkten groß geworden, die langen Entwicklungs- und Produktionszyklen unterworfen sind, weshalb die Denkweise vorherrscht, dass nur perfekt durchdachte und konzeptionierte Produkte auf den Markt gebracht werden können, da ansonsten die notwendigen Optimierungen jeweils viel Zeit in Anspruch nehmen würden.
Die Digitalisierung und neue Möglichkeiten ermöglichen heute vollständig andere Herangehensweisen. Produktionszyklen können in vielen Fällen und für viele Produkte und Prozesse signifikant verkürzt werden. Gleichzeitig kann da, wo früher aufwendige Marktforschungen über längere Zeiträume notwendig waren, heute Markterfolg von digitalen Produkten deutlich schneller (in einigen Fällen nahezu Realtime) gemessen werden.
Die Konsequenz: Perfektionismus in der Produktentwicklung kostet Zeit und Geschwindigkeit, die rein digitale Player nutzen, um schon mit ersten (immer unperfekten) Prototypen an den Markt zu gehen und sehr schnell ein erstes Nutzerfeedback zu bekommen, das dann als Leitplanke für weitere Optimierungen dient.
(Wer mehr hierzu wissen will, sollte sich mit dem Konzept des Lean Startup näher befassen).
# Keine Chefsache
„Eat your own dogfood“ - Digitale Transformation von Unternehmen und Geschäftsmodelle funktioniert nur dann, wenn sie von allen ernst genommen wird. Hierfür braucht es Vor- und Leitbilder, die glaubwürdig vorangehen und die Bedeutung solcher Veränderungen selber vorleben. Für Führungskräfte betroffener Firmen ist es unerlässlich, sich intensiv mit diesen Themen auch öffentlich auseinanderzusetzen.
Nur, wer vorangeht, kann Mitarbeiter mitnehmen. Nur wer Digitalisierung selber nutzt und versteht, wird in der Lage sein, hierfür die richtigen Weichenstellungen zu treffen.
An dieser Stelle sei mit Gisbert Rühl, CEO beim Old-Economy-Stahlhändler Klöckner & Co ein positives Beispiel besonders hervorgehoben (Hintergrund hier).
# Falsche Incentives
Zu viele Unternehmen incentivieren ihre Mitarbeiter nach rein monetären Kriterien. Solange Faktoren wie EBIT, Budgeteinhaltung etc. maßgebliche Treiber für Gehaltsboni sind, entstehen falsche Handlungsanreize für Mitarbeiter, die ihr Handeln eben nicht auf Innovationsprojekte ausrichten werden, die nicht von Tag 1 Profitbringer sind und eben nicht auf ihren Bonus einzahlen, wohlmöglich hierbei sogar kontraproduktiv sein können.
Was sind also die Konsequenzen, die Konzerne hieraus ziehen sollten? Wie kann es ihnen gelingen, die oftmals gewünschte Startup-Attitüde und Innovationskraft stärker in ihre Unternehmen zu holen?
In den nächsten Tagen werde ich mich dazu mit einem weiteren Blogpost beschäftigen. Vorab seien schon mal die Gedanken von Peter Borchers empfohlen, der mehrfach bewiesen hat, dass auch große Unternehmen in der Lage sind, eine beeindruckende Digital-Innovationskraft zu entwickeln: