Online Werbung ist tot? Stimmt nicht, Thomas Koch!
Lanzarote, Montag Mittag um 13:30 Uhr
Eine Rennradeinheit hinter mir, ich sitze in einer kleinen Surferbar namens „Poco Loco“.
Russel, der Chef des lokalen Surfhops sitzt neben mir, auf dem Tisch eine Tortilla und Cortado, freier Blick auf Strand und Wellen. Schöner könnte es kaum sein.
Den sonst in meinen Urlauben üblichen Vorsatz von „digital detox“ hatte ich in diesem Kurztrip von nur vier Tagen gar nicht. Also ohne schlechtes Gewissen schnell bei Facebook mal gucken, ob die Welt noch steht.
Auf eine schlechte Nachricht bin ich vorbereitet: mein HSV scheidet gegen Jena aus dem DFB Pokal aus, aber ansonsten ist die Nachrichtenlage unaufgeregt.
Und dann das: Mr. Media Thomas Koch überbringt mir (35 Jahre alt, die Karriere voll auf digitales Marketing gebaut, die besten Jahre zumindest gefühlt und gehofft noch vor mir) im W&V-Blog die Nachricht meines bevorstehenden Ablebens. Zumindest des beruflichen.
http://www.wuv.de/blogs/mrmedia/rest_in_peace_onlinewerbung_1995_2015
Ich schiebe meine Tortilla zur Seite, gucke mich nervös um und überlege in Sekundenbruchteilen, ob es im Surfshop nebenan wohl einen Aushilfsjob für mich geben mag. Gerne auch auf Dauer.
Nur für den Fall, dass ich mangels beruflicher Existenzberechtigung hier bleiben muss.
Aber halt. Jetzt nicht panisch werden.
Doch lieber erstmal verstehen, woran wir Digitalen denn beruflich gerade sterben.
Wenigstens für einen guten Spruch auf dem Grabstein muss ja wohl noch Zeit sein.
Und dann: Flashback! Der gute Bob Hoffmann-Post wird hervorgekramt, in dem aus allen Rohren auf Display Advertising geschossen wird.
Der Post hat vor 2 Jahren schon die Runde gemacht und war auch damals nur ein Teil der ganzen Wahrheit. Genauso wie es die anderen Studien sind, die Koch in seiner Grabesrede anführt.
Was aber ist nun von seinen Worten zu halten?
Ist die Online-Marketing-Branche frei von Betrug, schwarzen Schafen und Ungenauigkeiten bei Messungen und Abrechnungen? Nein, natürlich nicht. Das galt und gilt für die Media-Branche aber schon immer. Auflagenbetrug, Kickback-Vereinbarungen bei Media-Agenturen und ungenaue Reichweitenmessungen kennt die Branche auch in der nicht-digitalen Welt seit Jahrzehnten.
Jetzt darf aber die Schwäche anderer Gattungen natürlich nicht die Rechtfertigung der Online Marketing Branche für ihre eigenen Probleme sein. Vielmehr muss die gesamte Branche (vom Advertiser über Agenturen, AdTech-Anbieter und Publisher) den richtigen Umgang hiermit finden..
Und die gute Nachricht ist: einen guten Teil des Weges ist man hierzu auch schon gegangen.
Bot-Traffic lässt sich immer besser erkennen und filtern. Immer mehr Publisher tun das. Ob freiwillig oder aufgrund von Zwang durch Kunden und Agenuren sei dahin gestellt
Immer mehr Agenturen und Advertiser verstehen auch, dass RTB-Kampagnen eben nicht blind eingebucht sondern die entsprechenden Umfelder sauber ausgewählt und kontrolliert werden müssen. Zumindest dann, wenn man Premium-Preise zahlt und diese Premium-Leistung auch erwarten darf.
Wenn man Low- und Lowest-TKP im Cent-Bereich bezahlt, bekommt man eben auch Low-Quality.
Zum Schluss kommt das immer wieder hervorgekramte Argument der sinkenden Klickraten als Indikator für die Ineffizienzen von digitalem Marketing. Und wie zu oft werden hier die Zusammenhänge nur unzureichend hinterfragt. Liegt die sinkende CTR tatsächlich daran, dass Anzeigen ausgeliefert aber gar nicht mehr gesehen werden? Oder liegt es einfach an einer Inflation des Werbeinventars, das deutlich stärker wächst als das Zeit- und Aufmerksamkeitsbudget der Zielgruppe in diesen Kanälen? Und liegt es nicht vor allem an der hinter dem Werbemittel liegenden Strategie?
Glücklicherweise dürfen wir ja jeden Tag tolle Kampagnen sehen und erarbeiten, die mit siginifikant höheren Performance-Werten beeindrucken. Warum? Weil sie sich durch exzellente Kreation, Relevanz und die mittels Technologie ideale Einbindung in die Customer Journey auszeichnen. Kurzum: sie erreichen ihre Zielgruppe mit genau der richtigen Botschaft in genau dem richtigen Moment am richtigen Ort.
Und nicht zuletzt verlassen sich zum Glück immer weniger Kunden rein auf Klickraten sondern bewerten ihre Kampagnen mit weit darüber hinausgehenden Technologien , Attributionsmodellen und Kennzahlen.
Und weil genau das alles passiert, beruhigt sich mein von der Rennradtour immer noch leicht erhöhter und durch den Koch’schen Schreck in ungesunde Höhen aufgeschreckter Puls wieder.
Zurück zur Tortilla, noch einen Cortado, bitte.Und dazu das beruhigende Gefühl: Digitales Marketing ist also doch nicht am Ende. Vorbei sein sollten nur möglichst bald die Zeiten schlecht durchdachter, nicht mit ausreichendem Risikomanagement versehenen und unzureichend kontrollierter Digitalkampagnen.
Ob der Surf-Shop nebenan wohl eine Online Marketing-Strategie hat?